Zwischen den Zeilen gelesen

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Zwischen den Zeilen gelesen

von Pompeius_Magnus am 28.01.2015 19:53

Wissenschaftler aus Bern und Wien haben auf einem mittelalterlichen
Pergament einen nahezu unsichtbaren Text entdeckt und entziffert.
Die vor 1000 Jahren niedergeschriebenen Zeilen gehören vermutlich
zum verschollen geglaubten Werk eines antiken Historikers und bringen
Licht in eine wenig bekannte Epoche des römischen Reiches.


Altes_Pergament_recycl.jpg

Auf dem mittelalterlichen Pergament kam wieder der Ursprungstext
zum Vorschein.

(Foto: spectral imaging by EMEL, processed image by david kelbe.
© project fwf p24523-g19)

 

Mitte des 3. Jahrhunderts geriet das mächtige Römische Reich ins
Wanken: «Barbaren» gelangen erstmals Angriffe auf das Kernland;
im Jahr 251 wurde gar der römische Kaiser Decius auf dem Schlachtfeld
getötet. Dem klassischen Philologen Gunther Martin von der Universität
Bern und seiner Wiener Kollegin Jana Grusková ist es nun gelungen,
einen nahezu unsichtbaren Text aus jenen Tagen zu entziffern. Er
verbarg sich auf einer mittelalterlichen Handschrift und schildert
Einfälle der Goten in den einst zum römischen Reich gehörenden
Balkan.

Der Text bringt Licht in eine turbulente, bislang aber schlecht
dokumentierte Epoche der Antike. «Er wird eine bedeutende
Rolle in der Erforschung des 3. Jahrhunderts einnehmen», sagt
Gunther Martin vom Berner Institut für Klassische Philologie.
Dexipp, der mutmassliche Autor, gilt nämlich als der bedeutendste
Historiker


jener Zeit. Doch sein Werk zu den damaligen Gotenkriegen ist
verlorengegangen; nur Auszüge sind erhalten geblieben. Die
neuentdeckten Fragmente sind laut Martin die ersten, die wohl
direkt aus einer Gesamtausgabe des historischen Textes stammen

Der auf Griechisch geschriebene Bericht Dexipps verbarg sich in
einem kostbaren Kodex in der Österreichischen Nationalbibliothek.
Jana Grusková entdeckte darin mehrere Blätter mit Texten aus dem
13. Jahrhundert, die über die ursprünglichen, im 11. Jahrhundert zu
Pergament gebrachten Zeilen geschrieben worden waren. Das war
ein übliches «Recycling»-Verfahren, denn Pergament war teuer.

«Den unteren Text hatte man für die Wiederverwendung des
Pergaments abgeschabt, er war daher mit bloßem Auge kaum
sichtbar», erläutert Gunther Martin. Ein Technikerteam aus den
USA bestrahlte das Pergament mit Licht verschiedener Wellenlängen
und machte den ursprünglichen Text so zu rund 60 Prozent wieder lesbar.

In einem der Fragmente wird beschrieben, wie sich Kaiser Decius nach
einer verheerenden Niederlage zum Gegenangriff auf die Goten rüstet,
die in Thrakien eingefallen sind und die Stadt Philippopolis (das
heutige Plovdiv in Bulgarien) eingenommen haben. Erwähnt wird
dabei ein Goten-Fürst namens Ostrogotha, der laut bisher bekannten
Quellen zu dieser Zeit gar nicht gelebt haben sollte. Ein weiteres
Fragment berichtet von Männern, die aus allen Teilen Griechenlands
zum strategisch wichtigen Thermopylen-Pass strömen um einen
weiteren «Barbaren»-Angriff abzuwehren. In der Ansprache an die
Truppen zieht ein römischer Beamter explizit Parallelen zur legendären
Schlacht bei den Thermopylen um 480 vor Christus zwischen Griechen
und Persern.

Der Neufund, der nun publiziert wurde, liefert somit auch wertvolle
Hinweise auf die politischen Strukturen und die Geistesgeschichte
der damaligen Zeit, wie Gunther Martin sagt: «Der Text illustriert
das Verhältnis zwischen römischer Zentralmacht und der Provinzial-
bevölkerung, das Selbstverständnis der Griechen als Nation nach
Jahrhunderten römischer Herrschaft, aber auch die inneren
Strukturen der gotischen Kriegergesellschaft.»

Publikation:

Gunther Martin, Jana Grusková, „Dexippus Vindobonensis" (?) Ein neues
Handschriftenfragment zum sog. Herulereinfall der Jahre 267/268, WIENER
STUDIEN, Band 127/2014, 101 – 120, DOI:10.1553/wst127s101

Gunther Martin, Jana Grusková, "Scythica Vindobonensia" by Dexippus(?):
New Fragments on Decius' Gothic Wars, Greek, Roman, and Byzantine Studies
Vol 54, No 4 (2014), S. 728 - 754

Quelle: http://www.archaeologie-online.de/magazin/nachrichten/zwischen-den-zeilen-gelesen-32450/

Antworten Zuletzt bearbeitet am 28.01.2015 20:15.

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